Über die Dolomiten nach Slowenien

Harziger Start geht über in ein frivolles Reisefieber

Fahrrad Kilometer: 820 Km

Abschied
Dieses Mal ist es schwieriger, Abschied zu nehmen, weil ich direkt von meinem Elternhaus abfahre. Ein Freund, der auch die ganze Zeit um die Welt radelt, und meine Eltern begleiten mich bis nach Ziegelbrücke, um von dort das letzte Mal zurück zu winken.
Ich besuche in Chur den Jan mit seiner Familie. Prompt lädt er mich zu einem Fussball Match ein, Vaduz gegen St. Gallen. Ich, ein absoluter Anti-Fussballer, der zwei linke Füsse hat, finde aber Gefallen daran, wahrscheinlich nur, weil unser Team gewonnen hat. Unterdessen kocht seine hübsche Frau zu Hause feine Spaghetti.
Am nächsten Tag fahre ich nicht weit und schon bin ich in Liechtenstein. Da besuche ich eine interessante Frau, die als Pathologin arbeitet. Bevor wir uns begrüssen, steige ich auf den Hausberg von Vaduz, Gaflei.
So, nun habe ich mich von allen verabschiedet in der Schweiz und folge dem Fluss Inn zur Schweizergrenze.

Österreich
Die Inn schlängelt sich durch enge Täler bis nach Landeck, eine Stadt die eingekesselt ist von hohen Bergen, die noch mit Schnee bedeckt sind. Die Sonne wärmt mich und gibt mir einen fröhlichen Start meiner Reise. Mein Nacken macht sich wieder bemerkbar, aber nur weil ich die ganze Zeit nach oben schaue und die schöne Bergkulisse bestaune.
Da das Wetter am nächsten Tag Regen ansagt, stöbere ich auf der Warmshower-Seite und finde eine hübsche Radlerin, die in Innsbruck in einer grossen 5er WG haust. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin in einem Asylzentrum. Alle anderen sind ewige Studenten :-)  Nebenbei könnte sie als Stadtführerin arbeiten, denn sie zeigt mir mit viel Enthusiasmus ihre neue Heimatstadt.
Eine von vielen Alpenüberquerungen erstreckt sich von Innsbruck nach Brixen über den Brennerpass. Ohne Aufwärmen steigt die Strasse steil auf eine Hügelkette, die unmittelbar neben Innsbruck liegt. Wenn man mal da oben ist, geht es hügelig in ein weites Tal hinein bis kurz vor der Passhöhe, um noch ein letztes Mal zügig hoch zu gehen, bevor man in den Süden des Alpen Hauptkammes gelangt.
Als Bergpreis gönne ich mir eine neue Regenjacke im Outlet Store für nur 150 Euro anstatt 270 Franken in der Schweiz!!

Italien
Nach dem Brennerpass ist man automatisch in Italien, ohne eine Grenze zu überqueren. Ich finde das recht schade an der EU. Nachteil, man kann keine „Grenzen“ mehr überqueren. Vorteil, fast überall die gleiche Währung. Nein, ich habe keine Bauarbeiter gesehen, die einen Grenzzaun aufstellen, wegen den vielen Flüchtlingen. Die seien sowieso mit dem Zug unterwegs, laut meiner privaten Stadtführerin in Innsbruck.

Auf einer alten Zugbahnlinie radle ich gemächlich auf der anderen Seite hinunter nach Franzenfeste wo ich in das Pustertal einfahre. Fast die gesamte Strecke von zu Hause aus bis hierher und weiter, fahre ich schon auf verschiedenen Velowegen. Sehr empfehlenswert ist der Radweg vom Malojapass nach Passau, der an der Inn entlang führt. Ein anderer Leckerbissen ist von München über den Brennerpass nach Venedig an wunderschönen Bergen vorbei.
Bis Bruneck steigt es wenig an, da es Talaufwärts geht. Bei einem weiteren Warmshower darf ich mein Zelt in seinem Garten aufstellen. Hugo hat gegen vierzig (Beweisfoto) nostalgische Fahrräder in der Garage stehen. Er kauft sie, repariert und pflegt sie, wie eine Frau ihre Fingernägel. Gerade kommen sie zurück von Bozen, wo sie an einem nostalgischen Fahrrad-Treffen waren. Er und seine attraktive Frau, verkleidet in typischen alten Kleidern, führten ihr Tandem aus dem 18. Jahrhundert aus.

Ich bitte ihn, noch eine Nacht bleiben zu dürfen, weil ich sehnsuchtsvoll vom Kronplatz hinunter fliegen möchte. Somit schenkt er mir ein Bahnticket, damit ich nicht den langen Weg nach oben wandern muss. Nach dem langen, ersten Sinkflug finde ich Gleichgesinnte und wir fachsimpeln bei einer heissen Schoggi im Café Talstation. Es gibt sogar berühmte Leute darunter, wie der Luki Hofa, Biathlet. Er holte schon je eine Silber- und Bronze Medaille an den Olympischen Spielen in Sotchi. Ein Bergführer, der taiwanesische Touristen mit der Bahn rauf begleitete, um das Messner Museum zu besuchen, gibt mir wertvolle Tipps für die Weiterreise. Er bestieg die Eiger Nordwand schon zweimal und möchte nächstes Jahr den Nanga Parbat 8125m besteigen (neunthöchster Berg der Welt).
Der zweite Flug ist derselbe, jedoch der Start sehr anspruchsvoll. Da wir eigentlich sozusagen im Lee starten, gibt es einige Turbulenzen. Ich bin nahe bei einem Startabbruch, doch ich ziehe es durch und mache Flugakkro vor den Taiwanesen, die gerade aus dem Museum stolzieren.
Am Nachmittag besuche ich das andere Messner Museum, das sich oberhalb des Dorfes Bruneck in einem Schloss befindet. Es zeigt die verschiedenen Bergbevölker die auf der ganzen Welt ähnlich leben oder überleben. Jedes der sechs Museen hat ein anderes Thema. Leider verpasse ich den Reinhold Messner um einen Tag!!
Nicht weit von Bruneck schlage ich mein Basecamp im Wald nahe dem Dorf Sexten auf.

Auszug aus meinem Tagebuch:

Die ganze Nacht hat es gepisst. Mein Schlafsack ist feucht, in mein Zelt tropft es, aufs Mätteli und je nach dem wie ich liege auf meinen warmen Schlafsack. Wollte um halb 6 aufstehen, Regen hat aufgehört, aber die Wolken hängen tief. Wetterbericht hat blauer Himmel für heute voraus gesagt. Um halb 9 etwa starte ich trotzdem, weil ich die Sonne oberhalb vermute. Mit dem Rad geht’s zuerst auf Asphalt Straßen bis zum Ende, dann auf Schotter bis zur Talschlusshütte. Beim Dolomiten Hof frage ich, ob ich die Schneeschuhe hier deponieren darf, wenn ich zurück komme. Die nette Frau meint, ich könne sie vor die Tür stellen. Um 9 Uhr starte ich. Mit den SS geht es super! Ich sinke kaum ein. Ich habe Glück, jemand hat schon eine Spur gelegt, so muss ich den Weg durch den Schnee nicht suchen. Ich frage mich, ob sie einen Hund dabei hat oder nicht, wegen den kleinen Tatzspuren im Schnee. Sie, weil die Schuhgröße eher klein und schmal sind und weil ich mir ein sexy Girl vor mir vorstelle. Im Nachhinein stellen sich die Tatzspuren als Fuchsspuren heraus. Auch einige Hasenspuren erblicke ich. Plötzlich erschrecke ich, ein Schneehuhn ist von meinen stampfenden Schritten aufgeschreckt worden. Zwei Raben verfolgen ihn. Durch den Nebel oder Wolken zeigt sich immer wieder die Sonne. Immer mehr senkrechte Wände erspähe ich. Und vor mir stampft tatsächlich eine Frau, rutschend und mühselig sieht es aus. Schon klar ohne SS. Und dann verhüllen uns dicke Wolken unsere Sicht. Die Ösin war froh, dass ich jetzt spure. Nach einigen Metern war sie plötzlich verschwunden, sie kommt dann schon nach, dachte ich mir, ev macht sie Pause und zieht was an, sie war ja auch nur kurzärmlig. Gut hat es noch ein paar Felsen, an denen ich mich orientieren kann. Ansonsten herrscht Whiteout. Oben auf dem Plateau lichtet es ein wenig, zu meinem Vorteil, denn da sah ich die 3 Zinnen Hütte, sonst wäre ich in die falsche Richtung marschiert. Je näher ich zur Hütte komme, erkenne ich die Drei Zinnen nach und nach hinter den dicken Wolken. Als ich ankomme, waren sie schon fast wolkenlos, und ich dachte schon auf dem Weg, war alles umsonst?
Meine Füße sind patschnass, die Trekking  Schuhe sollten Steigeisen tauglich sein, aber das Material ist  nicht Gore Tex, wie geht das? Mal Transa fragen, dort kaufte ich diese Dinger. Ich ziehe mich um, an der Sonne ist es warm, ich schieße einige Fotos und dann wird es immer wärmer, bis ich oben ohne da sitze und vor mir stehen die Dolomiten Spitzen in ihrer voller Pracht, am Schluss ohne ein Wölkchen, verzuckert mit Schnee. Wunderschön, ich bin entzückt!
Den Weg zurück war ich um eine Stunde schneller, also nur 2h. Die Spur der Frau vom Aufstieg hören direkt vor einer Gedenktafel mit einem Foto, auf dem ein junger Mann abgebildet ist, auf. Nanu, kam sie hier hinauf, weil sie ihren toten Mann besuchen wollte? Sie sagte noch, sie kommt öfters hierher. Ich werde es nie erfahren.
Unten bei der Talschluss Hütte empfangen mich zwei ältere Damen und wir quatschen auf italienisch, dann spanisch, schlussendlich auf englisch, weil das am einfachsten ist.
Oben bei der Hütte blieb ich 1.5 Stunden, hier nochmals eine Stunde, weil die Kulisse so umwerfend ist und schön warm.
Mein Drei-Zinnen-Projekt ist mir erfolgreich gelungen, dank den Einheimischen, die ich unterwegs getroffen habe und mich beraten haben. Herzlichen Dank an die Südtiroler! Leider haben sie den Krieg 1916/17 gegen die Österreichern verloren. Doch die meisten der Toten, um die 10‘000 junge Männer, kamen durch Lawinen, Kälte und Hunger um.

Slowenien
Über einen enorm krass steilen Pass, bei dem ich mehr als vier Kilometer das Fahrrad stossen muss, teils mit Schnee bedeckter Strasse, gelange ich in das Märchenland Slowenien. Das Soca Tal ist weltberühmt, wegen den vielen Sportarten, die man hier ausüben kann u.a. Gleitschirm fliegen, Kajaken oder River Rafting. Ich kreuze unterhalb von Bovec in das Tal ein, umgeben von hohen Schneebergen, saftigen Wiesen mit Frühlingsblumen und hübschen, kleinen Häusern. Autos hat es wenige, wenn ich eines sehe, dann immer mit einem oder mehreren Kayaks auf dem Dach, obwohl die adrenalinreichste Saison erst im Mai startet mit der Schneeschmelze.
In Tolmin könnte ich fliegen, aber ich will es nicht riskieren, am nächsten Tag dieses malerische Tal im Regen an zu schauen. Den Radweg nach dem Dorf Most na Soci nehme ich nicht, weil er rassig ansteigt. Die Tourismus Saison ist noch nicht im Gange, somit ist es noch ruhig auf den Strassen. Die Berge werden merklich kleiner je mehr man aus dem Tal rauskommt. Vor Nova Gorica hat es einen der schönsten Radwege, der unmittelbar neben dem Soca Fluss entlang führt. Die Hauptstrasse befindet sich auf der anderen Flussseite. Wie durch ein Tor verlässt man das Tal, die Berge sind wie abgeschnitten zu Ende.
Plötzlich erspähe ich viele Gleitschirme in der Luft. Jetzt muss ich nur noch rausfinden wo der Landeplatz ist, das weitere erübrigt sich dann schon. Ich frage noch eine Autofahrlehrerin und schon stehe ich auf dem Platz wo der Windsack die Windrichtung anzeigt. Sie kommen zu Massen aus der Luft angeflogen und ich bereite mich auf meinen slowenischen Flug vor. Umziehen muss ich mich nicht, kann ja auch in den Velo Klamotten fliegen, nur ein paar Handschuhe, Jacke, Schirm mit Notschirm und den Sitz packe ich ein. Der Wanderweg wäre ein Tagesmarsch, so lass ich mich hinauf kutschieren. Der Startplatz ist gross und mässig steil, der Wind ziemlich stark. Ich befürchte, dass ich meinen Ultralight-Schirm nicht wirklich auslegen kann, weil er grad fort gewindet wird. Doch es passt erstaunlicherweise alles wie im Lehrbuch. Ich sichere mich im Sitz, welches auch mein Rucksack ist, also ein so genannter „Umkehr-Sitz“. Was nicht fehlen darf dies mal, die GoPro ein zu schalten, welche jedoch negativ auf das Flugverhalten hinführt. (siehe Skiunfall Statistik, seit Einführung der Helmkameras). Vor mir bricht ein Flugschüler sein Start ab, weil er zu wenig angebremst hat, als der Schirm nach oben kommt. Übung macht den Meister! Ich warte noch bis der Wind ein bisschen nachlässt, zupfe wenig an den A-Leinen (vorderste Leinenfront) und schon steht meine Freundin Ozone oben an mir, drehe mich um, kontrolliere die Kappe, ob alle Leinen an ihren richtigen Stellen verlaufen, alles i.O., und entscheide durch zu starten. Der Wind schüttelt mein Schirm nach rechts, so dass ich über einen anderen, noch nicht ganz ausgelegten Schirm springen muss, zwei Schritte mehr und schon bin ich in der Luft. Der dynamische Wind hebt mich schnell nach oben und überschaue schon den Startplatz. Auf dieser Höhe kann ich Italien und die Adria sehen. Der Flug dauert etwa eine halbe Stunde, packe den Schirm und das restliche Material zusammen und fahre wieder gemütlich und sehr zufrieden mit dem Rad weiter.
An einem schönen Plätzchen neben einem Flüsschen stelle ich mein Zelt auf, wasche mich im eiskalten Wasser, koche das kürzlich eingekaufte Menü, Stretching, Tagebuch schreiben und schlafe früh ein. Träumen muss ich nicht mehr, ich habe heute meinen Traum ausgelebt!