Italien – Schweiz

Fahrrad Kilometer: 755 Kilometer

Heimwärts
Wie Ihr vielleicht schon bemerkt habt, fahre ich gen Norden.
Beim Planen meiner Tour hatte ich einen Plan A und ein Plan B ausgeheckt. Nun habe ich mich entschieden, das heisst schon seit Lettland, Plan A aus zu führen. In das Warum möchte ich nicht weiter eingehen, es ist jetzt einfach so, habt bitte Verständnis. Das heisst aber noch lange nicht, dass die Reise zu Ende ist…
Von Igoumitsa reise ich mit der Fähre nach Venedig, Italien. Die Fahrt dauert dreiundzwanzig Stunden, also ist es nicht möglich die Reise ohne Mahlzeiten zu geniessen. Irgendwie sind alle Türen zu, so schleiche ich zurück aufs Auto Deck A, nehme alles Essbares raus… und schon kommt ein Schiffsarbeiter und meint ich dürfe hier nicht schlafen. Sieht es danach aus? Ich muss mich beeilen, weil er ist beauftragt alle Decks zu schliessen, wegen der Sicherheit. Nochmals Glück gehabt, ohne Food –> Bauchweh bis nach Venedig.
Die Fahrt ist ruhig und es ist noch möglich auf dem Deck die letzten Sonnenstrahlen ein zu solarisieren. Morgen um 7 Uhr kommen wir pünktlich in Venedig an. Der Camping ist mir zu teuer und wild campen zu geheuer. So entscheide ich mich über die lange Brücke zur Inselstadt zu fahren. Wieder mal Glück gehabt, dass ich das Hostel nicht im voraus per Internet gebucht habe. Ich suche das Hostel mit meinem OSM-App, leicht gefunden, aber als ich über die erste Brücke laufen will (Fahrverbot in ganz Venedig), komme ich in Verlegenheit. Jede Brücke ist mit Treppenabsätzen gebaut worden. Ich müsste ungefähr sechs Brücken bewältigen bis zum Hostel, jedes Mal steile Treppen…. nein, sicher nicht! Janu, so verstecke ich mein Gefährt hinter einem Hotel und mach mich zu Fuss auf, die Stadt zu erkunden. Mit einer Loverin wäre es natürlich viel schöner, romantischer…
Da ich doch nicht ein geeignetes Schlafplätzchen finde, fahre ich gleichentags wieder aufs Festland Richtung Gardasee. Die Tage werden merklich kürzer und kälter, aber die Sonne scheint jeden Tag und wärmt mich. Die Nächte verbringe ich in Freizeitparks, in den Rebbergen, am See oder mitten im Dorf. Im Freizeitpark huscht ein kleines Igelchen bis zwei Meter vor meine Füsse und isst mit mir mit. In den Rebbergen esse ich bei einem schönen Sonnenuntergang. Am Gardasee schlafe ich zwanzig Centimeter neben dem Wasser. Der starke Wind nässt das Zelt ein wenig. In einem Dorf ist es leicht für einen erfahrenen Weltenbummler ein Plätzchen zu finden. Ich fühle mich so sicher, dass ich noch ins Zentrum schlendere, um mich in einem Café auf zu wärmen und vor allem ein Celati zu kosten.

Gardaflug
Mit meiner Ex-Freundin, Nicole Werfeli, war ich schon mal hier am Gardasee im Urlaub und zwar in Bardolino. So kenne ich die Gegend schon ein bisschen und weiss auch, wo ich meinen Italien-Flug absolvieren kann. In eisiger Kälte nehme ich die Gondel und lasse mich hinauf auf den Monte Baldo transportieren. Oben weht ein noch kälterer und sehr starker Wind um die Ohren. Ich ziehe mich nochmals wärmer an und laufe auf dem Grat umher und suche ein Windstilles Plätzchen in der Wiese. Der Flugplatzwärter beim Landeplatz, der mir gratis eine Schwimmweste plus ein Helm zur Verfügung stellt (Schwimmweste, weil Landeplatz neben dem See ist. Helm, weil ich den in Griechenland bei einer Abfahrt verloren habe…), riet mir nicht zu starten, wenn ich noch Schaumkronen auf dem Wasser sehe. Das sieht man noch ganz gut, etwa zweitausend Meter über dem Gelände. Auch die anderen, gegen die fünfzig Piloten (!!!) starten noch nicht. Aber die Akkro Piloten soaren auf dem breiten Grat.
Plötzlich nach gut drei Stunden startet der erste Gleitschirm. Wie kann es anders sein, es artet ein richtiges Weltcup-Starten aus. Einer nach dem anderen. Ich hab ein mulmiges Gefühl, eigentlich wie immer, wenn ich irgendwo das erste Mal fliege und ich die Gegend flugtechnisch nicht kenne. Auch die Höhe vom Grat bis zum See runter ist Nerven flatternd. Doch die Sicht auf den See und in die Berge lässt dies fast in Vergessenheit geraten. Der Wind hat vom Norden tatsächlich nach gelassen, aber eigentlich weht er immer noch stark, einfach jetzt vom Süden her. Die Landung wird also ziemlich anspruchsvoll. Ich muss genau einschätzen wie hoch ich bin, wie weit ich bei starkem Wind vom Landeplatz weg drehen darf ohne im Wasser, Bäumen oder sonstwo landen zu müssen. Ein Tipp bei Starkwind ist, dass man fast oberhalb des Landeplatzes fliegt und nur Achter fliegt, wobei man die Nase immer im Gegenwind hat. Also ja nicht einen Vollkreis machen, sonst ist man schon wieder hundert Meter weiter hinten und man kommt fast nicht mehr nach vorne. Ihr seht also, ich fliege kaum vorwärts, nur noch wie ein Helikopter sinkend. Wenn ich die Ohren noch anlegen würde, würde ich wahrscheinlich rückwärts fliegen, was nicht gefährlich sein muss, aber man muss einfach alles unter Kontrolle haben.
So kommt es, dass ich genau dort lande, wo ich hin wollte. Mitten in der Wiese! Bravo! Natürlich bin ich sehr glücklich es geschafft zu haben, denn ein anderer landete im Wasser. Und es ist verdammt kalt da draussen!!
Das Celati in Riva del Garda hab ich mir also durchaus verdient.

Pass, nein Pässe!
Bis nach Tirano plante ich den kürzesten Weg. Auf der Karte sehe ich schon, dass es sicher noch ein weiteren Pass folgt, bevor ich über den Bernina- und Julierpass hechle. Oh weh, nur schon vom Gardasee ins andere Tal hinüber muss ich mehr als fünfhundert Höhenmeter bewältigen. Die Aussicht und Landschaft ist dafür ausgezeichnet. Die Bäume haben schon alle ihre herbstlichen Farben. Beim Bergauf- fahren, fahre ich kurz und bergab ziehe ich das meiste an, das ich in meinen Ortlieb-Taschen mitführe.
Im nächsten Tal entscheide ich mich um ein Uhr in den nächsten Pass ein zu fahren, obwohl es satte vierunddreissig Kilometern bis zur Passhöhe sind!! Ich nehme eine Abkürzung, sehr steil, heiss und lang. Natürlich geht das meiste wieder runter, und das soll eine Abkürzung sein? Um sechs sage ich mir (8Km vor dem Pass), hier schlafe ich, am nächsten Tag fahre ich die restlichen Kilometer auf den Pass. Aber wie ist es dann mit der Kälte? Ich habe nur eine Sekunde daran gedacht und stopfe mir die letzten Nahrungsmittel in mich rein und hetze zur Passhöhe. Oben angekommen sehe ich grad noch die Sonne hinter den Bergen verschwinden. Die halbe Passabfahrt fahre ich im Dunkeln…

Schweizergrenze
Die Temperaturen sind am morgen bei eisigen drei Grad, aber in der nächsten Steigung fahre ich schon wieder kurz. Eine schöne Passstrasse auf der auch der Giro d’Italia seine Route fand, fahre ich ins letzte Tal vor der Schweiz wo sich Tirano befindet. Früh bin ich in Tirano. Das Mittagessen nehme ich hinter dem Schweizer Bahnhof der Rhätischen Bahn. Die Hitze jagt mich fort und so suche ich mein letztes Camp im Ausland. Hoch oben in den Rebbergen habe ich eine grandiose Aussicht über Tirano und den umliegenden Bergen.
Die Schweizergrenze passiere ich während ich Richtung Bernina Passhöhe schnaufe. Die Zöllner beachten mich nicht einmal. Was für eine Begrüssung! Da waren die Zöllner in Bulgarien, Rumänien wie auch in Griechenland viel freundlicher und glücklich einen exotischen Reisenden zu erblicken. Auch dieser Pass verlangt meine letzte Kraft. Mehr als fünfundzwanzig Kilometer und ziemlich steil, sodass ich mehrheitlich zwischen Gang 1 und eher selten 3 fahre. Es ist immer noch genügend warm, um kurz zu radeln.
Immer wieder denke ich, ich glaube, ich schaff es nicht. Ich muss wieder zurück nach Tirano fahren, den Zug nehmen. Aber ohne Fleiss kein Preis! Den oberen Teil der Strecke kenne ich ein bisschen von der Tour der Jugend. Damals fuhren wir von St. Susanna über den Stilvio, Paso del Foscagno, Paso del Forcola und zuletzt über den Berninapass nach Pontresina und das alles in einem Tag! Wir waren da noch Kinder zwischen 12 und 16jährig. Diese (Tor)tour plante unser Ex-Präsident vom V.C. Horgen. Für ihn war es eine Traumtour, aber für uns kleinen Wesen eher eine Tortour. Aber ich war da schon alt genug und konnte selber entscheiden ob ich in den Begleitbus steigen will,
oder mich noch mehr quälen will. Am San Bernardino erlebte ich meinen schlimmsten Hungerast meines Lebens!

Die Bergkulisse ist wunderschön! Bezuckert mit wenig Schnee und farbenprächtige Bäume treiben mich voran auf den schneebedeckten Pass. Schnell alles um- bzw. anziehen und den Körper Modus auf Genuss stellen. Vorbei gehts am Lago Bianco und an bekannten Gipfeln vorbei nach Pontresina. Bei der Diavolezza Bahn steigen viele Skifahrer aus. Ich benütze diese Bahn meistens um den Piz Palü zu besteigen, einer der berühmtesten Gipfel im Kanton Graubünden. Gott treibt mich wieder mal voran und so finde ich zwar eine verschlossene Jugenherberge vor in Pontresina, aber der untere Eingang vom Langlauf Verband ist nicht geschlossen, so schlüpfe ich in die warme Garderobe und oh herrlich, geniesse die erste Dusche in der Schweiz und die erste nach einigen Tagen (die letzte auf der Fähre nach Venedig). Der Besitzer ist nicht so reisefreundlich, so muss ich eine Schlafgelegenheit draussen suchen. Na, ich finde ein viel schöneres Plätzchen neben einer Hundeschule unter Nadelbäumen, die mich vor feuchter Luft schützen und sieh da eine Feuerstelle. Kalt hab ich nicht disesen Abend. Lustigerweise finde ich kein unverbranntes Holz am nächsten Morgen…

Letzter Pass
Durch eine atemberaubende Gegend fahre ich zu meinem letzten Pass, den Julier. Hier ist es nicht mehr so warm. Im Gegenteil! Ich bin noch nie mit vier Schichten über einen Pass gefahren, sogar mit Mütze und Winterhandschuhen! Nach dem Silvaplana Dorf steigt es rasant an. Wie sagte meine Mutter nochmals? „Es ist ein flacher Pass.“ Hie und da hat es sicherlich flache Stellen, bei denen ich mich ausruhen kann, aber der eisige Gegenwind macht es nicht leichter. Als ich endlich oben ankomme befreit es mich gewaltig, nun weiss ich, ich habe die letzte Hürde geschafft. Ich habe enormes Glück gehabt, dass die Sonne jeden Tag schien und die Pässe schneefrei waren. Sie hat einfach gewusst, dass ich komme!

Heimweg
Auf dem Weg nach Hause besuche ich noch ein paar lässige Freunde. Der Eine wohnt in Chur mit seiner Frau und zwei Kinder, ihn kenne ich durch Marc Franchi (getroffen in Hirtshals, Dänemark. Siehe Bericht Dänemark), mein lustigster Rekrutenkumpel aus der Militärzeit. Er fing wegen mir mit dem Gleitschirmfliegen an. Von Chur radle ich alles auf Nebenwegen zum Walensee. Da schlafe ich das letzte Mal im Zelt, natürlich darf ein Lagerfeuer mit angeschwemmten Holz nicht fehlen. Im Hintergrund wachen die Churfirsten über mir.
Auf der zweitletzten Etappe mache ich einen Abstecher nach Nidfurn. Hier wohnt ein Ex-Radrennprofi oder Ex-Radsportschüler vom V.C. Horgen, Elias Schmäh. Nach seiner Radkarriere kaufte er ein Haus und ist nun vollumfänglich beschäftigt mit dem Umbau/Renovierung, damit er und seine hübsche und liebe Frau sowie seine drei herzigen Söhne ein Dach über dem Kopf haben. Er ist sehr froh, dass ich ihm am nächsten Tag tatkräftig helfe seine Scheune auf zu räumen. Seine Frau Evi kocht für uns eine göttliche Mahlzeit und einen nicht-zu-vergessen-geratenen Kuchen. Er und seine Frau können stolz sein auf ihr Haus. Von ihrer Traumküche (Kochinsel mit Steamer) blicken sie durch eine riesige Glasfront auf den Tödi!

Die letzten Kilometer nehme ich, wie wenn nichts besonderes wäre unter die Räder und fahre nach Horgen, unsere neue Heimatstadt.

Happy New Year!

Euer Stephan